„Wenn wir gerettet werden, fühlen wir uns gedemütigt, und wenn man uns hilft, fühlen wir uns erniedrigt.“[1]

So beschrieb Hannah Arendt 2016 in ihrem Buch „Wir Flüchtlinge“, was es heißt, sein Land verlassen zu haben und vor dem Nichts zu stehen. Und wer kann das besser nachvollziehen als eine Frau, die dreimal in ihrem Leben geflohen ist. Am 14.10.1906 geboren, floh sie das erste Mal mit acht Jahren zusammen mit ihrer Mutter von ihrem Heimatort nach Berlin, 1933 als Jüdin vor dem Nationalsozialismus nach Paris und anschließend 1941 ein letztes Mal in die USA. Hannah Arendt war eine derer, die die Welt mit anderen Augen betrachtete. Ihr war das Denken wichtig. So beschloss sie bereits mit 14 Jahren, nachdem sie Kant gelesen hatte, sie wolle Philosophie studieren. Aber nicht nur das. Sie war eine, die neben dem Denken das Handeln als ebenso gleichwertig empfand. Deshalb verweigerte sie stets die Bezeichnung Philosophin für sich, nachdem sie ihr Studium der Philosophie, Theologie und klassischen Philologie 1928 mit einer Promotion abgeschlossen hatte. Sie bezeichnete sich als „politische Theoretikerin“. Enttäuscht von der Gleichschaltung der Intellektuellen in Deutschland distanzierte sie sich 1933 erneut von dem Begriff der Philosophin. Für Arendt ist „jeder Mensch […] ein Anfang und Neuankömmling in der Welt […] [und kann die] Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen“[2]. Das Handeln spielt eine wichtige Rolle. In ihrem Buch „Vita Activa“ zeigt sie auf, wie wichtig die Geburt für sie ist. Jeder Mensch hat ein Stück Verantwortung inne, jeder kann etwas bewirken. Was man daraus macht, liegt in der Entscheidung eines jeden Einzelnen. Wir haben als Mensch durch unsere Geburt die Fähigkeit, etwas zu bewegen, es besteht Hoffnung. Die politische Aktivität spielt hierbei, auch für Hannah Arendt, eine große Rolle. Sie hat nach ihren eigenen Erlebnissen analysiert, was Politik heißt, was Macht heißt. Dabei differenziert sie die totale Herrschaft und schreibt über „die Lüge in der Politik“[3]. Inwiefern bergen auch Demokratien Gefahren? Inwiefern manipulieren wir uns jeden Tag durch Lügen und inwiefern gehört das zu unserem Menschsein dazu? Was braucht es, dass ein totalitäres Regime an die Macht kommt? Wenn wir handeln, bedarf es unseres Vorstellungsvermögens, uns eine alternative Realität ausmalen zu können. Dasselbe wird auch beim Lügen benötigt. Ein anderes Thema, mit dem sie sich auseinandersetzt: Die jeden von uns betreffende Flüchtlingskrise. Hannah Arendt hat aus ihrem eigenen Leiden heraus als Flüchtling in ihren Texten geschrieben, dass „[w]enn es überhaupt so etwas wie ein eingeborenes Menschenrecht gibt, … kann es nur ein Recht sein, das sich grundsätzlich von allen Staatsbürgerrechten unterscheidet.“[4] Sie selbst war von 1937 bis 1951 ganze 14 Jahre staatenlos. Sie beschreibt das Gefühl als Flüchtling als ein Leid, durch eine fehlgeschlagene Assimilation. Auch wenn man versucht, seine Heimat und Herkunft zu verdrängen und sich anzupassen, so wird man niemals die Leichtigkeit im Umgang mit anderen erhalten. Landeskenntnis, im Sinne von „wie die Menschen dort ticken“ fehlt, die Muttersprache fällt weg. Ein andauernder Druck bleibt bestehen, dass man als Flüchtling bloß nicht als solcher erkannt wird. Steht man zu seiner Herkunft, so gehört man auch nicht wirklich dazu. Man ist wohl mehr wie ein Störfaktor. Das Gefühl, keine Rechte zu haben und das Gefühl, dass man als Vertriebener nicht Teil der Gemeinschaft ist, lässt sie nach von Nationen unabhängigen Menschenrechten fragen. Doch wie könnten solche jedem Einzelnen garantiert werden? Sie hat uns ihre genialen Gedanken überlassen. Arendt gibt uns die Möglichkeit, in eine Welt einzutauchen und diese vielleicht auch ein kleines bisschen besser zu verstehen, indem wir durch ihre Augen sehen. Und das ist es wert. Auch wenn Hannah Arendt die Welt bereits am 04.12.1975 verlassen hat, so hat sie uns geprägt. Ihre Ideen sind nicht veraltet, sie betreffen jeden Menschen, alltäglich. Und so denkt auch Jörg Lau von der „Zeit“: „In Zeiten wie diesen mit ihrer grassierenden Politikverachtung hat Hannah Arendt uns etwas zu sagen.“[5], [6]

 

[1] Arendt, Hannah: Wir Flüchtlinge, 2016, S. 21, zit. nach Müller, Sandra: Hannah Arendt: Zitate und Sprüche. “Radikal ist immer nur das Gute“, in: Focus online. URL: https://www.focus.de/wissen/mensch/philosophie/hannah- arendt-zitate-und-sprueche_id_7195033.html (aufgerufen am 21.03.2020 um 15:08Uhr).

[2] Arendt, Hannah: Vita Activa, S. 215, in: Philosophie Magazin 06 (2016), S. 89.

[3] Arendt, Hannah: Die Lüge in der Politik, in: Wahrheit und Lüge in der Politik. Zwei Essays, 1972, S. 8-11.

[4] Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1986, S. 603-616, zit. nach: Das Recht, Rechte zu haben, in: Philosophie Magazin 06 (2016), 63f., hier S. 64.

[5] Lau, Jörg, Hannah Arendt. Wege der Freiheit, in: Zeit online. URL: https://www.zeit.de/2009/47/Vorbilder-Arendt (aufgerufen am 21.03.2020 um 15:08Uhr).

[6] Philosophie Magazin: Hannah Arendt – Die Freiheit des Denkens